Helmut Ploebst

Source : http://derstandard.at/2000020072355/Zwei-Geschichten-tanzen-an-Zeitwaenden

31. Juli 2015

Review : Wall Dancing

Padmini Chettur und das Tanztheater Wien beim Impulstanz-Festival

Wien – Vor der nackten Ziegelrückwand der Bühne im Akademietheater unternimmt das österreichische Tanztheater Wien jetzt bei Impulstanz im Akademietheater eine Bewegung in Richtung Back to the Future. Und die indische Choreografin Padmini Chettur macht ihr Publikum im Weltmuseum zu Zeugen eines dreistündigen Wall Dancing. Die ästhetischen Ideen und kulturellen Zusammenhänge dieser künstlerischen Positionen liegen weit auseinander.

Aber während der vergangenen zehn Jahre ist es schwer geworden, eindeutig zu sagen, was nun als wirklich “zeitgenössischer” Tanz gelten kann. Das Zusammenspiel zwischen künstlerischer Form, inhaltlichem Ansatz und kultureller Verortung ist komplexer denn je zuvor und über ein breites Spektrum an Möglichkeiten verteilt. Padmini Chettur – sie zählt mittlerweile zu den wichtigsten Choreografinnen auf dem Subkontinent – ist es gelungen, Strategien der westlichen Postmoderne in ein zartes Gewebe atmosphärischer Elemente aus dem indischen Tanz zu versetzen.

Man kann fragen, ob dieser sehr ruhige, dreistündige Tanz an den Wänden zweier Säle des Weltmuseums für gegenwärtige Verhältnisse nicht zu formal ist. Doch Chettur sprengt erstens die routinemäßige Zeitnorm der Stücke von heute, zweitens testet sie aus, wie “historisch” sich der postmoderne Tanz jetzt verhält und drittens bildet das Wall Dancing indischer Körper im einst sogenannten “Völkerkundemuseum” in sich ein hochaktuelles Thema.

Erst über die Dauer des Zuschauens wird der ganze Gehalt dieser performativen Ausstellung erfahrbar. Vier Tänzerinnen und ein Tänzer, allesamt ganz unterschiedliche Erscheinungen, folgen einem einfachen choreografischen Muster, das meist in Stille, zuweilen aber auch von minimalen Klängen begleitet durchgespielt wird. Mit der Zeit drehen sie ihre Rolle um: Dann sind sie keine Ausgestellten mehr. Vielmehr bewirkt ihre Präsenz, dass sich die Museumsräume in Ausstellungsobjekte verwandeln.

Auch für das Tanztheater Wien (TTW), gegründet 1982 und mit siebenjähriger Unterbrechung bis 2003 aktiv, ist die Zeit Thema der Reflexion. Back to the Future ist eine überaus gegenwärtige Erinnerungsarbeit geworden.

Große tänzerische Reife

Das Gründungsquartett Liz King, Manfred Biskup, Esther Linley und Harmen Tromp war stets von der Idee getragen, das Ballett mit zeitgenössischer Choreografie zu verbinden. Aus Sicht des Balletts mit so überzeugendem Erfolg, dass Liz King über vier Jahre die Leitung der Volksopern-Compagnie übernehmen konnte.

In Back to the Future tanzt King, 68, selbst an einem Parcours durch Motive aus den wichtigsten TTW-Stücken mit. Linley und Tromp fehlten bei der Uraufführung. Dafür konnten etwa Daphne Strothmann und Mani Obeya, die die zweite Generation des TTW repräsentieren, ihre große tänzerische Reife zeigen.